Miteinander verschmelzen
Wenn wir verliebt sind, dann möchten wir dem anderen gerne nah sein. Wir möchten am liebsten mit dem anderen verschmelzen. Es sind sogar recht viele Paar-Beziehungen, die beinahe symbiotischen Charakter haben. Diese Einheit, diese Symbiose, ist zwar einerseits wundervoll, schön und herrlich, doch andererseits verschwimmen wir im WIR, unsere eigenen Konturen verschwimmen. Unsere persönlichen Charaktereigenschaften, Vorlieben, Meinungen, Hobbys, Leidenschaften, Eigenarten und Grenzen lösen sich auf. Die symbiotische Nähe zum anderen kann uns mit der Zeit unserer persönlichen Freiheit berauben und uns die Luft zum Atmen nehmen.
Während unserer Verliebtheitsphase ist der Wunsch nach symbiotischer Nähe sehr natürlich. Doch wenn wir zu lange in einer engen, symbiotischen Beziehung leben, dann wird uns dies, wenn wir nicht in der Lage sind, auch mal getrennt vom anderen etwas zu unternehmen, über kurz oder lang trennen. Ja - irrwitziger Weise wird uns unsere Symbiose auf Dauer trennen. Und tatsächlich ist es ja so, dass sehr viele Paare sich trennen. Sie waren anfangs so sehr verliebt miteinander und nun trennen sie sich. Wie kann dies sein? Wie kann dies passieren? Warum widerfährt dieses Schicksal so vielen Menschen?
Hierzu können wir uns einige Analogien anschauen: Das Wasser im Meer ist beispielsweise eine Einheit. Die Wassertropfen sind nicht einzeln sichtbar. Nur wenn die Gischt spritzt und ein Wassertropfen ans Ufer springt, ist der Wassertropfen als Wassertropfen sichtbar. In dem Moment, in dem das Meer den Wassertropfen vom Strand wieder aufleckt, ist der Wassertropfen wieder verschwunden und unsichtbar. Er ist eingegangen in das Große Ganze.
Jede Seele, jeder Mensch, ist solch ein Wassertropfen, der ans Ufer gespritzt ist (auf die Erde inkarniert ist) und dort als eigenständiges Individuum sichtbar ist. Nur als dieses einzigartige Wesen mit individuellen Eigenschaften, Fähigkeiten, Talenten, Kompetenzen und Qualitäten können wir spezifische, einzigartige Erfahrungen sammeln.
Stellen wir uns nun als zweites einmal einen Wald vor. In dem Wald wachsen viele Bäume. Dies ist kein Meer, wie der Ozean des Wassers, sondern in jedem Wald sind alle Bäume einzeln sichtbar. Sie stehen dort nebeneinander. Und zwischen ihnen besteht ein Abstand, leerer Raum, ein Zwischenraum. Die Bäume existieren getrennt voneinander. Indem jeder Baum für sich steht, können wir die Bäume anfassen, erkennen, benennen, nutzen und sogar „verarbeiten“. Und die Tiere bauen Nester in ihren Zweigen.
Stellen wir uns nun einmal vor, dass zwischen den Bäumen KEINE Abstände bestünden, so würden alle Bäume einen einzigen „Baum-Brei“ darstellen. Alle Bäume wäre eine einzige „Baum-Pampe“. Kein Baum wäre mehr als Baum erkennbar. Und kein Baum würde in seiner Einzigartigkeit existieren.
Und wenn wir uns nun vorstellen, dass Bäume gemeinsam mit den Tieren des Waldes zu einer noch größere Pampe, zu einem noch größeren Brei, verschmelzen würden, so könnten keine Tiere mehr auf einem Baum nisten, weil alles eine einzige Suppe wäre. Es würden keine Erfahrungen mehr möglich sein. Tiere und Bäume könnten das Leben nicht erfahren.
Und genau so ergeht es uns Menschen, wenn wir dauerhaft in einer symbiotischen Beziehung leben. Wir leben dann in einem Beziehungs-Brei. Wir können den anderen nicht mehr in seiner/ihrer Einzigartigkeit erfahren, weil alles eine einzige Pampe ist.
Stellen wir uns hierzu nun einmal folgendes Beispiel vor. Stellen wir uns vor, wie wir als Mensch mit einem Klavier verschmelzen würden. Stellen wir uns vor, wie wir ein Mensch-Klavier-Brei wären. Wir würden eine symbiotische Einheit, ein WIR, eine „Pampe der Liebe“ darstellen. Dann wäre es für uns unmöglich, auf dem Klavier zu spielen, denn es würde werde das Klavier noch uns selbst mit Grenzen und Konturen geben.
Wir können nur dann auf einem Klavier musizieren, wenn zwischen uns als Individuum und dem Klavier als Objekt klare, harte, feste, definierte Grenzen bestehen. Unsere Finger können die Klaviertasten nur dann drücken, wenn die Oberflächen sich voneinander abheben, abgrenzen und einander Widerstand bieten. Wenn alles eine Matschepampe ist, eine Suppe, ein Brei, dann kann niemand irgendwelche Tasten drücken.
Zudem braucht es aus der Sicht des Klaviers ein Individuum außerhalb des Klaviers, das seine Tasten drückt. Das Klavier kann nicht selbst seine eigenen Tasten drücken. Und deshalb brauchen wir auch die anderen Menschen, die unsere eigenen Trigger-Punkte drücken. Nur indem die anderen Menschen auf uns als Klavier spielen, können wir die Lieder unserer eigenen unter unserem Teppich liegenden Gefühle spielen/singen/fühlen.
Das typische für diese Schöpfung ist, dass Trennung so oder so in Erscheinung tritt. Denn Trennung und Getrennt-Sein sind elementarer Bestandteil des Lebens. Entweder leben/existieren wir freiwillig und bereitwillig innerlich, energetisch getrennt von unserem Partner. Oder wir leben in einer symbiotischen „Liebes-Brei-Suppen-Beziehung“ und werden uns früher oder später real-weltlich von unserem Partner trennen, weil kein Mensch „als Suppe“ eigenständige Erfahrungen machen kann. Unsere Wahl, unsere Entscheidung, ist also, ob wir Trennung innerlich energetisch oder äußerlich real-weltlich erfahren/erleben möchten.
Der Witz hierbei ist nun, dass unser Liebe-Sein Trennung im Irdischen leicht erlaubt und leicht aushält. Warum? Weil die Liebe weiß, dass sie auf einer höheren Ebene ohnehin mit allem verbunden ist. Es ist also unser Ego, dass sich subjektiv getrennt fühlt und Trennung als etwas Schmerzhaftes erlebt/erfährt. Unser Ego strebt die Vereinigung und das (dauerhafte) Verschmelzen an. Unser Ego will mit einem anderen Ego/Menschen verschmelzen. Unser Ego strebt die Symbiose als Erfahrung an. Unser Ego will Einheit erfahren, erleben - und erleiden.
Denn mit der Erfahrung von Symbiose/Verschmelzen geht zwangsläufig irgendwann die Auflösung dieser Verschmelzung einher. Und diese Auflösung, Kündigung, dieses Beenden ist dann für uns sehr schmerzvoll. Unser Ego ernährt mit diesem gewaltigen Schmerz wiederum seinen Ego-Schmerzkörper. Schmerz ist Nahrung und Freude für unser Ego.
Trennen wir uns real-weltlich von unserem Partner, so gehen mit der Trennung/Scheidung sehr viele negative Gefühle einher. Trennen wir uns mental-energetisch, so bereitet dies schon jetzt unserem Ego seelisch Schmerzen. Doch hier könn(t)en wir als Geist drüber stehen und den „Sinn dahinter“ durchschauen. Dann können wir das Getrenntsein genießen und das Verschmelzen auf einzelne Situationen und Begebenheiten begrenzen.
Wir können einen anderen Menschen nur dann freudig begrüßen, in den Arm nehmen und willkommen heißen, wenn er zuvor mit dem Zug (weit) fortgefahren ist. Wir können nur aufeinander zugehen, wenn wir zuvor getrennt voneinander waren. Wie wollen wir auf jemanden zugehen, der uns ständig auf den Schultern sitzt, an der Hacke hängt oder den wir andauernd bei uns/um uns haben. Um Nähe erleben und erfahren zu können, müssen wir zuvor Trennung initiieren.
Wir können auf unserem Partner als Klavier nur dann schöne Lieder spielen, wenn er/sie seine/ihre Qualitäten als Klavier auslebt und wenn wir unsere Qualitäten als Klavierspieler/in leben. Hierbei haben das Klavier und der Klavierspieler vollkommen unterschiedliche Eigenschaften, Charaktermerkmale, Eigenarten und Qualitäten. Es ist ein vollkommen ungleiches Paar. Jeder ist vollkommen anders in seiner Art. Und dennoch kann zwischen ihnen eine innige Liebesbeziehung bestehen - eben genau aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit, eben aufgrund ihrer Andersartigkeit, eben aufgrund ihrer Verschiedenheit.
Im Zuge der allgemeinen Gender-Debatte wollen die Initiatoren erreichen, dass alle gleich sind. Es soll nur noch Klaviere geben auf dieser Welt. Doch wer spielt sie dann? Was nützen die schönsten Klaviere, wenn alle Klavierspieler den Klavieren gleich gemacht worden sind? Es wird dann keine Klaviermusik erklingen können, weil niemand mehr anders sein darf. Dies wäre total absurd und ist wider die Natur. Es ist ebenso absurd, wie wenn man alle Giraffen den Pinguinen gleich machen wollte. Die Musik des Lebens, die aufgrund der Unterschiedlichkeiten und der Vielfalt des Lebens entsteht, würde verstummen.
Die Kunst ist, dass wir uns darin üben, unseren Partner und jeden Menschen in seiner Andersartigkeit/Unterschiedlichkeit/Einzigartigkeit/Verschiedenheit zu lieben. Tolerieren und akzeptieren ist das Minimum. Lebensfreude entsteht erst, wenn wir den anderen nicht nur tolerieren und akzeptieren, sondern wenn wir den anderen würdigen, wertschätzen, achten, schätzen, in seiner Einzigartigkeit bestaunen, feiern, hochleben lassen und von ganzem Herzen lieben. Indem wir alles, was anders ist, segnen, finden wir selbst endlich inneren Frieden. Und zugleich ebnen wir uns selbst den Weg, auf all dem, was anders ist als wir selbst, wundervolle Musikstücke zu spielen.
Wir können „das Andere“ für unser eigenes Musizieren benutzen.
Nehmen wir zum Abschluss noch ein weiteres Beispiel, nämlich das Bild eines Künstlers. Da sind der Künstler, die Leinwand, der Pinsel, die verschiedenen Farben und der Betrachter. Würden wir all dies in einen Topf schmeißen, einmal umrühren und eine Suppe daraus kochen, so wäre dies zwar ein Akt der Verschmelzung, doch es wäre sicherlich kein schönes Kunstwerk. Und es gäbe keinen mehr, der das Kunstwerk anschauen könnte. Erst dadurch, dass Künstler, Leinwand, Pinsel, alle Farben und der Betrachter getrennt voneinander existieren, kann überhaupt ein Kunstwerk entstehen und kann dieses Kunstwerk angeschaut und bewundert werden.
Im Seelenmeer, in unserer Essenz, sind wir alle ein einziger „Brei der universalen Liebe“. Und dies wird auch immer so bleiben. Auf der Ebene der universalen Liebe ist die Gender-Debatte bereits erfolgreich abgeschlossen: Wir sind alle Liebe. Mehr ist nicht nötig.
Doch als diese „Suppe der Liebe“ können wir unmöglich Erfahrungen machen. Für das Erfahrungen-Machen braucht es die Trennung, braucht es Diversifikation, braucht es mannigfaltige Ausdrucksformen - und zwar auf allen Ebenen: in der Natur sowie in jeder Spezies und auch unter den Menschen. Das Symbol bzw. der Hauptakteur dieser Trennung, der „Held der Trennung“, ist unser Ego. Wir können unserem Ego also dankbar sein, dass es sein Liebe-Sein vergessen hat und „Trennung von der Liebe“ ermöglicht. Wir können der Schöpfung danken, dass es unser Ego überhaupt gibt, denn ohne unser Ego würde es kein Ich und kein Du und kein Anders und keine einzige bewusste Erfahrung geben.
Spielen wir also als Ego bewusst die Lieber des Lebens und genießen wir hierbei bewusst die Dynamik von Nähe und Distanz, von Symbiose und Getrennsein, von Individuum und Einheit. Wir Menschen sind stets beides gleichzeitig. Und dies ist phänomenal. Es ist genial, dass dies überhaupt möglich ist. Als Menschen mit einem Ego erleben und erfahren wir Trennung und Getrenntsein parallel und gleichzeitig jetzt in Echtzeit. Wir sind gleichzeitig als Ego getrennt/individualisiert - und als Geist/Herz sind wir Einheit, Einssein, Verbundensein und „Suppe“.
Und über Ego und Geist hinaus sind wir sogar diejenige Bewusstseins-Instanz, die das Ego und unser Geist-Sein wahrnehmen kann. Dies bedeutet, wir sind nicht nur Geist, sondern wir sind auch der „Große Geist“, der den Geist wahrnehmen kann. Und auch über dem „Großen Geist“ gibt es einen noch größeren Geist, der auch diesen wieder von oben wahrnehmen kann. Wir selbst sind also das universale Bewusstsein, dass sich selbst von außerhalb von sich selbst wahrnehmen kann.
Letztendlich nehmen wir als Ego dann uns als Geist und sowie das universale Bewusstsein wahr. Und als universales Bewusstsein nehmen wir uns als Ego wahr. Somit wird alles wahrgenommen. Und dies ist vermutlich der Sinn dieser Schöpfung …
Schön - dann haben wir den Sinn des Lebens ja endlich gefunden und zugleich auch unsere Berufung. Unsere Berufung ist, als Ego uns als Geist/Bewusstsein bewusst wahrzunehmen und als Geist uns als Ego bewusst wahrzunehmen. Fertig. Das ist alles.
Und nun gilt es, die hieraus resultierenden Erfahrungen und Gefühle wahrzunehmen, zu erleben, zu erfahren und zu fühlen. Mit unserem Ego fühlen wir. Und mit unserem Geist bezeugen wir, was wir als Ego fühlen.
Na dann ist ja alles klar …
Und wir können/dürfen immer Ego und Geist gleichzeitig sein und weiterhin fühlen und bezeugen …
eine neue ordnung am 07. September 20
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