Dienstag, 6. April 2021
Wir funktioniert eigentlich das Leben?
Ich paddel.

Mit meinem Paddelboot paddel ich einen kleinen Fluss entlang - stromaufwärts.

Das ist anstrengend.
Das erfordert Kraft.
Das bedeutet Mühsal.
Das ist nicht so leicht.

Doch es macht mir Spaß.

Die Landschaft ist wunderschön.
Ich paddel durch wundervoll herrliche, unberührte Natur.

Ab und zu kommen mir Paddler entgegen.

Sie schwimmen mit dem Strom.

Sie haben es leicht.
Sie brauchen sind einfach nur treiben zu lassen.
Sie kommen schnell voran.
Es ist mühelos.
Es erfordert kaum Anstrengung.

Ich grüße freundlich und paddel weiter.

In der Ferne höre ich den Lärm von Autos auf einer großen Straße.

Ich nähere mich.

Ich paddel unter einer Autobahnbrücke hindurch.

Ich spüre die Unruhe der gestressten Autofahrer.

Ich paddel weiter.

Hinter mir verstummt der Lärm.

Ich verschmelze wieder mit der unberührte Natur.

Ich atme die Natur ein.
Ich nehme die Energie der Natur in mich auf.
Hier ist alles Liebe.
Hier ist alles Sein.
Hier ist alles so wundervoll ursprünglich.

Keine Egos.
Keine Gedanken.
Kein Nachdenken.
Keine Vorstellungen.
Keine Erwartungen.
Keinerlei Grübeleien.

Stille.
Ruhe.
Leere.

Und zugleich Fülle.
Mannigfaltigkeit.
Reichtum.
Vielfalt.

Ich fühle mich reich und überreich beschenkt.

Ich höre ein neues Geräusch.
Ich kann das Geräusch erst nicht so recht deuten.
Dann erkenne ich es.

In der Ferne fährt ein Eisenbahnzug durch die Natur.

Nach ein paar Paddelschlägen kann ich den Eisenbahndamm erkennen.

Ich lasse die Eindrücke in mich einsinken.

Autobahn.
Eisenbahn.
Natur.

Die Autobahn geht schnurgerade dahin.
Die Eisenbahn fährt schnurgerade zum Ziel.
Der Fluss schlängelt sich in kleinen und großen Bögen und Mäandern durch die Natur.

Es wäre mir zu dumm, mit dem Paddelboot schnurgeradeaus zu paddeln.

Viel spannender und erlebnisreicher ist es, die kurvenreiche Strecke zu genießen. Viel abenteuerlicher und lebendiger ist es, nicht zu wissen, was hinter der nächsten Biegung auf mich wartet.

Die meisten Menschen sitzen in der Eisenbahn oder fahren mit ihren Autos zu fernen Zielen hin. Sie warten, bis sie endlich am Ziel ankommen.

Ich sitze in meinem Paddelboot.
Ich habe kein Ziel.

Der Weg ist der Weg, es gibt kein Ziel.

Das Jetzt ist zugleich der Weg und das Ziel.
Indem ich auf meinem Weg bin, bin ich bereits an meinem Ziel angekommen.

Das Ziel ist der jetzige Moment.
Und der ist immer schon da.

Ich freue mich, anders zu sein als die rasenden Autofahrer und die Zielen-hinterher-jagenden Bahnfahrer.

Ich freue mich, keinen Weg und keine Zeit aufwenden zu müssen, um an ein Ziel zu gelangen, denn ich bin bereits da, ich bin bereits angekommen. Ich genieße den jetzigen Moment und achte und würdige und wertschätze und bejahe und segne den jetzigen Augenblick des Paddelns.

Ich bin von großer Dankbarkeit erfüllt.

Ich sitze im Paddelboot.
Alles ist ganz schlicht und einfach.

Mit gleichmäßigen Schlägen bewege ich mich sachte durch die Natur.

Und schließlich habe ich Lust, eine Pause zu machen.

Ich lege am Ufer an.
Ich trinke etwas.
Ich esse etwas.
Ich genieße die Stille in der Natur.

Ich lausche in die Stille.
Ich höre die Vogelstimmen.
Ich höre das Plätschernd es Wassers.
Ich höre das Rascheln des Schilfs.

Wundervoll.

Gestärkt steige ich wieder in mein Paddelboot.

Jetzt lasse ich mich treiben.
Mit der Strömung genieße ich die Fahrt stromabwärts.
Auch dies ist schön.

So schön mühelos.

Doch treffe ich auf ein Hindernis, eine Stromschnelle oder einen Baum/einen Ast im Wasser, so ist die Navigation ?mit dem Strom? deutlich schwieriger als ?gegen den Strom?.

?Mit dem Strom? werde ich einfach mitgerissen.
Meine Handlungs- und Einflussnahmemöglichkeiten sind eingeschränkt. Schnell werde ich hektisch, denn auch wenn ich nichts tue, treibt mich die Strömung direkt auf das Hindernis zu und das Boot oder ich selbst nehmen Schaden.

Der Mensch hat die Autobahn gebaut.
Der Mensch hat die Eisenbahn gebaut.
Der Mensch baut auch schnurgerade Kanäle.

Die Natur schlängelt sich dahin.
Und unser eigenes Leben verläuft niemals gradlinig, sondern immer in Bögen, immer in Mäandern und manchmal sogar ?scheinbar rückwärts? - bis es dann wieder vorwärts weiter geht.

Ich paddel.
Ich paddel einfach so durch die Natur.

Und ich erkenne, dass mir eine so schlichte Bootsfahrt so viele Lebensweisheiten spiegelt und mich einlädt, das Leben neu zu erkennen, aus einer vollkommen neuen Perspektive heraus zu betrachten und nochmal wieder anders zu verstehen.