Glücklich sein und ein erfülltes Leben
Es gibt Dozenten und Referenten, spirituelle Lehrer und Vortragsredner, die reisen jahrelang durch die Welt und kommen dann trotzdem an den Punkt, an dem sie für sich selbst feststellen: „Irgendwie fühle ich mich leer. Irgendwie bin ich gar nicht wahrhaftig glücklich.“ Wie kann dies sein? Sie führen doch ein so erfülltes Leben.
Ich selbst kenne ein ähnliches Phänomen. Als Unterhaltungskünstler und Stelzenläufer bin ich in der Vorbereitung eines Auftritts „im Aufftrittsmodus“. Ich packe meine sieben Sachen zusammen und bin voll konzentriert. Und auch während des Auftritts bin ich mit meiner Konzentration voll bei der Sache, total präsent im Hier und Jetzt, absolut gegenwärtig, achtsam, hell wach und voll da.
Ähnliches kenne ich auch, wenn ich eine neue Stelzengroßfigur baue/konstruiere. Ich bohre, klebe, flexe, schleife, nähe, schraube, zeichne und gestalte. Dabei „bin ich ganz in meiner Welt“ (und für andere kaum ansprechbar). Ich konzentriere mich voll und ganz auf mich, auf mein Tun und bin gut verbunden mit meiner Intuition, die mir immer wieder tolle Tipps, Hinweise, zusätzliche Ideen und neue Impulse schenkt.
Dieses „sich auf sich selbst konzentrieren“ ist sehr erfüllend, wohltuend und bereichernd. Hier lebt mein Inneres Kind. Hier zeigt sich meine Selbstliebe.
Dort, wo meine Konzentration ist, dort liegt mein Fokus, dort bin ich mit meiner Aufmerksamkeit und dort ist mein Bewusstsein. Und wo mein Bewusstsein ist, DAS BIN ICH. Konzentration ist wie „Apfelsaftkonzentrat“ - es ist konzentrierte, komprimierte, fokussierte Energie. Wie bei einem Brennglas. Wir brennen für das, was wir tun. Und dies fühlt sich erfüllend an. Dies macht uns glücklich.
Warum? – Weil Glückshormone ausgeschüttet werden und weil unser Sympathikus aktiviert wird. Wenn der Bergsteiger sich auf seinen Körper und seinen Berg konzentriert, dann regt der Sympathikus ihn zur Aktivität an und in seinem Körper wird Adrenalin ausgeschüttet. Und diese Adrenalisausschüttung lieben wir. Auch Rennfahrer, Abenteurer, Extremsportler sowie auch Künstler, Artisten, Akrobaten und Wettkämpfer fühlen sich durch ihr Adrenalin angespornt, angestachelt, motiviert und erfüllt. Und natürlich auch Vortragsredner und Referenten und jeder, der gerne im Mittelpunkt steht oder Erfolge erzielen möchte.
Je großartiger der Kick, desto größer ist natürlich auch die Leere hinterher. Das Leben muss sich schließlich die Waage halten. Doch in dieser Phase ohne Kick, in dieser Phase ohne Adrenalinausschüttung, sacken wir dann in uns zusammen, fühlen wir uns leer, neigen wir zu depressiven Verstimmungen und fühlen uns unausgefüllt.
Also suchen wir schnell wieder den nächsten Kick, das nächste Abenteuer (was natürlich auch auf den Bereich Sexualität zutrifft) und die nächste wirkungsvolle Adrenalisausschüttung. Mit dem Kick, mit Adrenalin, mit „etwas vorhaben“, mit Stress fühlen wir uns so wunderbar lebendig.
Es ist nun die Kunst und die Herausforderung, die Ruhephase auch als glückliche, erfüllende Lebenszeit zu genießen. Wie kann uns der Gegenspieler zu Adrenalin und zum Sympathikus - der Parasympathikus - auch zu Glückgefühlen und zu einem Erfülltsein in Entspannung verhelfen?
Zunächst können wir feststellen: Wenn uns solange wir ETWAS um die Ohren haben, sind wir voll bei der Sache. Unsere Konzentration, unsere Aufmerksamkeit und unser Fokus sind bei dem, was wir gerade tun und erleben. In der anschließenden Phase der Entspannung, zum Beispiel wenn wir einen Tee trinken, wenn wir in Ruhe auf die Toilette gehen, wenn wir durch die Stadt schlendern, wenn wir unsere sieben Sachen aufräumen, dann erleben wir keine Konzentration, sondern eher eine „frei flottierende, diffuse und sehr wechselhafte/flatterhafte Aufmerksamkeit“. Wir sind in Gedanken und wir denken an dies und an das. Unser Fokus springt von Hölzchen zu Stöckchen und wir verlieren uns in unseren Gedanken und in den kleinen und großen Dingen um uns herum. Unser Leben entbehrt gerade jede Fokussierung und jeder Konzentration. Das Konzentrat fehlt. Und damit fehlt a) Adrenalin und b) unser Gefühl von glücklich sein und c) unser Gefühl von erfüllt sein und d) unsere Lebendigkeit. Wir fühlen uns viel eher matt, unzufrieden und unmotiviert.
Und diese schon fast in Richtung Depression gehenden Gemütszustände nerven uns, lähmen uns, machen einfach keinen Spaß und rauben uns unsere Lebensfreude. Wie kann dies sein? Vor ein paar Stunden folgten wir noch unserer großen Leidenschaft. Und jetzt fühlen wir uns so leer.
Während wir unserer Leidenschaft folgten, waren wir mit unserer Konzentration, mit unserer Aufmerksamkeit, mit unserem Fokus und mit unserem Bewusstsein BEI unserer Leidenschaft. Wir waren bei dem, was wir in diesem Moment JETZT tun.
Nun - einige Stunden später - wo wir NICHT mehr unseren Vortrag halten, sondern einfach chillen, sind wir in Gedanken immer noch bei unserer Leidenschaft (auch wenn’s längst vorbei ist), doch das, was tatsächlich JETZT passiert, entgeht uns. Wir sind eben jetzt NICHT präsent und gegenwärtig im Hier und Jetzt. Und wenn unsere Aufmerksamkeit bei einem anderen Thema ist als das, was das Jetzt uns jetzt zu bieten hat, dann fühlen wir uns logischerweise jetzt leer, weil wir gedanklich abwesend sind.
Jetzt wäre es dran, dass wir uns voll und ganz auf unseren Tee konzentrieren, keine Gedanken über etwas anderes denken, unsere volle Aufmerksamkeit dem Aroma und dem Duft des Tees widmen und uns total erfüllen lassen von diesem jetzigen Moment des Tee Trinkens. Wir könnten auch hierin unser Glück finden und uns voll und ganz vom Tee trinken erfüllen und beglücken lassen. Doch ein glücklich sein beim Tee trinken funktioniert natürlich nur dann, wenn wir uns auf das Tee trinken konzentrieren. Wenn wir unser Bewusstsein hier beim Tee trinken haben.
Sobald wir an etwas anderes denken, als an das, was JETZT stattfindet, MÜSSEN wir uns innerlich leer fühlen, weil wir weg sind, weil wir abgeschweift sind, weil wir in Gedanken eine vergangenen oder einem zukünftigen Ereignis nachhängen, weil wir das JETZT in seiner besonderen Qualität und erfüllenden Schönheit verpassen.
Anstatt unserem Jipper nach Action zu folgen, anstatt wie ein Adrenalin-Junkie von einem Kick zum nächsten zu hasten, anstatt ständig und immerzu das Außen wie zu konsumieren, könnten wir nun einen neuen Zugang zum „Parasympathikus-Jetzt“ finden, zum Jetzt in der Phase der Entspannung. Wir könnten versuchen, uns auf die Schönheit und den Genuss von Entspannung und Hingabe zu konzentrieren.
Während wir uns in der Regel erfüllt und glücklich fühlen, wenn wir aktiv, sendend und gebend sind, ist die Herausforderung nun, dass wir uns erfüllt und glücklich fühlen, wenn wir passiv, aufnehmend und annehmend sind. Wir könnten uns auf das lustvolle Annehmen und Aufnehmen einlassen und unsere eigene Hingabefähigkeit genießen.
Möglicherweise eröffnet genau unsere Pause unserem Partner die Chance für seine Aktivität. Wir könnten entspannt und bewusst aufnehmen, während er/sie nun aktiv und bewusst sich geben darf. Unser Rhythmus wäre genau gegenläufig und würde sich zugleich perfekt ergänzen. Neu für uns selbst wäre, unser Passivsein (unsere Entspannung) als eine „Aktivität der Ruhe“ zu verstehen, als ein „sich auf das Stillsein zu konzentrieren“.
Besonders die aktiven Menschen haben oftmals große Schwierigkeiten, Hingabe zu praktizieren und Leerlaufzeiten auszuhalten. Es geht darum, das „Ruder aus der Hand geben“ zu genießen, sich hinzugeben, anderen zu vertrauen und auch andere mal geschehen zu lassen, wenn für uns ohnehin gerade mal eine Pause gesünder ist, als von Projekt zu Projekt zu hasten.
ICH BIN AKTIV PASSIV.
ICH GEBE MICH AKTIV HIN.
ICH BIN AKTIV STILL.
ICH PRAKTIZIERE „AKTIV“ (und bewusst) HINGABE UND ENTSPANNUNG.
ICH GENIESSE MEINE EIGENE LEERE und lasse sie bereitwillig vom Leben füllen.
Ein Versuch ist es wert.
Probieren geht über studieren.
Versuch macht klug.
Auch gesamtgesellschaftlich MÜSSEN wir einen Weg finden, aus dem ewigen Streben nach dauerhaftem wirtschaftlichem Wachstum und fortwährenden Erfolgen/Gewinnen rauszukommen. Wir MÜSSEN einen Weg finden, die „Regression“ zu genießen. Wir müssen eine innere Haltung finden, den „Abschwung“ als erfüllend und glücklich machend bejahend anzunehmen. Und dies muss bei jedem einzelnen Menschen ansetzen. Dies muss IN jedem einzelnen beginnen. Nur wenn wir IN UNS eine neue Haltung einnehmen und die Gegenbewegung zum Aufschwung würdigen und uns auf sie freuen, können wir „diese Phase der globalen Entspannung“ „gesund“ überleben und sogar genießen.
Eine globale Aufgabe, die jeder Mensch für sich ganz persönlich erfahren und körperlich und seelisch in sich fühlen und wahrnehmen wird. Und hier KANN NIEMAND uns im außen sagen, was oder wie wir es zu tun und zu machen haben. Wir müssen es schon selbst heraus finden und dann auch tatsächlich praktizieren. Es betrifft unser eigenes Leben und wir müssen da einen für uns selbst befriedigenden Weg finden, wie wir uns mit Regression, Pause, Leere, Stille, Ruhe, Entspannung, Hingabe und dem Parasympathikus wohlfühlen.
Jede/r anders …
Jede/r auf seine Weise …
Und natürlich können ist ein Austausch sinnvoll …
eine neue ordnung am 29. September 19
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