Donnerstag, 4. März 2021
Etwas persönlich nehmen
In diesem Beitrag geht es um Klaus. Klaus hatte ein Problem damit, dass er immer ganz bestimmte Dinge furchtbar persönlich nahm. Was die anderen sagten oder machten triggerte ihn dann ganz furchtbar, sodass es für ihn kaum auszuhalten war.

Dann - eines Tages - telefonierte Klaus mit einem Bekannten. Sie unterhielten sich über dies und das und tauschten sich über ihre ?Weltanschauungen? aus. Dabei kamen sie regelrecht ins Philosophieren. Klaus und sein Bekannter hörten sich gegenseitig sehr aufmerksam zu. Dann brach das Gespräch plötzlich ab. Die Leitung war tot. Der Kontakt war unterbrochen. Das Gespräch war ?durch höhere Mächte? beendet worden. Und das ausgerechnet an einem Punkt, bei dem es so richtig spannend zu werden schien.

Und Klaus war auch klar, dass früher oder später vielleicht doch der Punkt erreicht worden wäre, an dem sich einer von beiden vom anderen ans Bein gepinkelt gefühlt hätte und die Worte des anderen persönlich genommen hätte.

Und dann durchzuckte Klaus plötzlich eine Erkenntnis.

All das, was er persönlich nahm, war seine ganz persönliche Wahrheit, die auch für niemand anderen bestimmt war. Diese Wahrheit war nur und einzig und allein für ihn selbst bestimmt. Und diese Wahrheit, dieses Weltbild, diese Ansichten, diese Überzeugungen hatten wirklich nur einzig und allein für ihn selbst Gültigkeit.

Andere Menschen hatten andere Weltbilder.
Andere Menschen glaubten andere Wahrheiten.
Andere Menschen dachten in anderen Kategorien.
Andere Menschen hatten andere Konzepte von dieser Welt.
Andere Menschen erklärten sich die Phänomene des Lebens auf andere Art und Weise.
Andere Menschen kamen zu anderen Erkenntnissen.
Und andere Menschen benutzten Worte in anderen Zusammenhängen.
Andere Menschen gaben bestimmten Worten andere Bedeutungen.
Und andere Menschen erschufen andere, neue Wortschöpfungen.

Seine Wahrheit war einfach nur seine eigene Wahrheit.
Niemand anderes brauchte sie zu verstehen.
Und niemand anderes konnte sie verstehen.

Und sollte er weiterhin versuchen, seine ganz eigene Wahrheit kund zu tun, so musste dies über kurz oder lang zu negativen Rückmeldungen sowie zu Ablehnung und Zurückweisung führen, denn kein anderer Mensch würde seine eigene Philosophie teilen können. Jeder Mensch lebte in seiner eigenen Welt (Gedankenwelt, Spielblase).

Immer, wenn Klaus irgendetwas persönlich nahm, so musste er erkennen/anerkennen/wissen, dass der andere Klaus? ganz individueller Wahrheit schlicht und einfach nicht folgen und sie nicht teilen konnte. Was für ihn gültig und wichtig und richtig und angemessen und bedeutsam war, das hatte für andere Menschen noch lange nicht denselben Stellenwert.

Und Klaus bemerkte, dass er, wenn er ein frohes, gesundes, glückliches und zufriedenes Leben führen wollte, gut daran tat, seine eigene Wahrheit niemandem überzustülpen und sie stattdessen einfach still in sich selbst mit sich selbst zu feiern und zu genießen. Und zugleich war es sinnvoll, gut und hilfreich, neugierig und offen zu sein, nach welcher Wahrheit die anderen Menschen lebten. Klaus wurde sich darüber bewusst, dass er gut daran tat, die anderen Menschen in ihrer jeweiligen Wahrheit zu lassen und zu erlauben. Jeder wollte andere Erfahrungen machen - und sollte dies auch dürfen.

Klaus? Wahrheit passte für ihn - für ihn ganz persönlich und individuell.
Und für andere Menschen passten eben andere Wahrheiten, Modelle und Konzepte.

Klaus hatte Lust, es einmal auszuprobieren, offen und neugierig die anderen in ihren Wahrheiten und mit ihren Lebenskonzepten zu erkennen. Er selbst war sich ja seiner eigenen Wahrheit sicher. Und falls er Lust hatte, konnte er seine eigene Wahrheit um den ein oder anderen Aspekt der anderen ergänzen/erweitern. Alles freiwillig.

Und schon in seiner Vorfreude bemerkte Klaus, wie er es sich kaum vorstellen konnte, dass andere Menschen auch auf eine andere als seine Art und Weise glücklich und zufrieden sein konnten. Klaus dachte immer, dass nur Menschen, die so lebten wie er selbst, zufrieden und glücklich sein konnten. Doch da hatte er sich ganz offensichtlich geirrt. Diese Illusion war nun gerade mal direkt vor seinen Augen verpufft.

Und spannend war auch zu schauen und zu beobachten und zu bezeugen, womit sich die anderen Menschen ihr Leben ?schön? machten.

Was war ihre Freude?
Was war ihre Wonne?
Was war ihr Glück?
Was liebten sie?
Von was wünschten sie sich mehr und mehr?

Und Klaus fühlte sich gut in seiner neuen Rolle als Forscher und Beobachter. Es freute sich schon auf die ersten Ergebnisse.

Und dann überlegte er, wie es um die anderen Menschen bestellt war. Wie war es, wenn die anderen etwas persönlich nahmen? Wie war es, wenn die anderen ausgerechnet sein Verhalten oder seine Bemerkungen/Worte persönlich nahmen? Offensichtlich hatte er die anderen dann an einem Punkt getroffen, an dem seine Wahrheit von der Wirklichkeit der anderen abwich. Und es war nicht sinnvoll, beides gleich für wahr befinden zu wollen. Sondern es war genau die Unterschiedlichkeit, in der hier die Qualität des Lebens zu finden war. Das Andere. Die Verschiedenartigkeit. Der Unterschied. Und Klaus überlegte, ob er wohl in der Lage sein würde, die Andersartigkeit des Anderen ebenso zu lieben wie seine eigene Wahrheit.

Und dies musste eigentlich ganz leicht gelingen, denn schließlich liebte er sein eigenes Zuhause und konnte leicht auch den anderen Menschen erlauben, in einem anderen Zuhause zu wohnen. Und er liebte sein Auto und er konnte leicht erlauben, dass die anderen andere Autos fuhren und damit ebenfalls glücklich waren. Dies tat seiner eigenen Freude überhaupt keinen Abbruch.

Nur bei persönlichen Auseinandersetzungen, Standpunkten, Meinungen und Überzeugungen war dies bisher manchmal etwas schwierig, zäh, mühsam und manchmal sogar für ihn selbst oder für den anderen schmerzhaft gewesen. Dies musste also ganz offensichtlich nicht sein.

Immer, wenn er selbst etwas persönlich nahm, konnte er sich selbst in seiner Einzigartigkeit und Einmaligkeit erkennen. Und immer, wenn andere Menschen etwas persönlich nahmen, konnte er die anderen in ihrer Einzigartigkeit und Einmaligkeit erkennen - und anerkennen und würdigen.

Dies hörte sich nun ganz gut an und Klaus hatte Lust, diese neue Haltung mit ?etwas persönlich nehmen? einfach einmal auszuprobieren.